Woher kommt das Dogma?

Als ich im vorletzen Semester an einem Referat zu Schriftverständnis und Hermeneutik arbeitete, kam bei mir die Frage auf wie die Theologie nun eigentlich von der Schrift zum Dogma kommt. Natürlich geht das Dogma in irgendeiner Weise auf die Schrift zurück. Wie aber wird der Inhalt der Schrift zum Dogma bzw. zu einem System von Dogmen oder einer systematischen Theologie?

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Was ist überhaupt ein Dogma? Bavinck definiert diesen Begriff als Beschreibung für „…die Artikel des Glaubens, die auf dem Wort Gottes beruhen und daher jeden zum Glauben aufrufen. Dogmatik ist somit das System der Artikel des Glaubens.“ (RD I, 34) Interessanterweise sagt Bavinck an anderer Stelle, dass die Bibel selbst keine Dogmatik enthält. Für ihn ist das Zeitalter der Offenbarung vom Zeitalter der Kirche (und damit des Aufkommens des dogmatischen Prozesses) zu trennen (RD I, 116).

Ich finde diesen Gedanken unbefriedigend, da Bavinck nur eine geringe bis gar keine Kontinuität zwischen Schrift und Kirche mit Bezug auf die dogmatische Methode zulässt. Aus bibelwissenschaftlicher Perspektive ist das unverständlich. In den letzten Jahrzehnten ist es immer deutlicher geworden, dass die Schrift selbst offensichtlich einen exegetischen und theologischen Prozess enthält und bezeugt. Die Entfaltung des AT im NT ist ein klassisches Beispiel für diesen Sachverhalt. Dabei hört es jedoch nicht auf. Seit der Arbeit Michael Fishbanes gibt es auch im Bereich der AT Bibelwissenschaft ein gesteigertes Interesse an innerbiblischer Auslegung.

Wie helfen aber nun die Beobachtungen zur  „innerbiblische Auslegung“ im theologischen Prozess? Was sagt uns das Verhältnis von AT und NT im Bezug auf die dogmatische Methode? An dieser Stelle ist Richard Gaffins Dissertation als eine hilfreiche methodische Ressource zu nennen.

Gaffin wurde 1969 am Westminster Theological Seminary mit einer Arbeit über die Stellung der Auferstehung in Paulus Soteriologie promoviert. Ein signifikanter Teil dieser Dissertation (später publiziert als Gaffin, Richard, The Centrality of the Resurrection: A Study in Paul’s Soteriology. Baker Biblical Monograph. Grand Rapids: Baker, 1978) ist der Debatte zwischen Geerhardus Vos und Abraham Kuyper über die Biblische Theologie gewidmet. Während Kuyper (wie Bavinck) die Schrift schlicht als Material für die Dogmatik ansah, sprach Vos von der eschatologischen Reflektion des Apostels Paulus über die Heilsgeschichte.

Es ist meiner Auffassung nach kaum bestreitbar, dass Paulus die Ereignisse der Heilsgeschichte im Lichte des eschatologischen Auftreten des Messias in neuen Zusammenhängen sah und auf Christus hin auslegte. Dabei ist Paulus systematisch vorgegangen, indem er theologische Fragestellungen wie die Rolle des Gesetzes oder der Gotteslehre neu adressierte und theologisch durchdachte (vgl. Paulus Erörterungen über das Gesetz im Galaterbrief und seine Anwendung des Shma Israel in 1 Kor 8).

Man kann es Paulus schlicht nicht zum Vorwurf machen, dass er keine Systematische Theologie produzierte, weil seine Briefe als Gelegenheitsschreiben zu verstehen sind. Darüber hinaus fehlte es Paulus noch an philosophischen Kategorien, deren sich die heutige Dogmatik ganz selbstverständlich bedient. Das heißt aber nicht, dass Paulus kein systematisch-theologischer Denker war.

Welche Frage wirft das auf? Ich denke, dass die methodischen Auffassungen Bavincks oder Kuypers neu durchtdacht werden müsssen. Die Systematisierung bzw. Ordnung der Offenbarung, die in der Heilsgeschichte stattfand, ist keine Erfindung der Kirchenväter bzw. der frühen Kirche. Das ordnende Moment der Offenbarung bei Paulus ist das Auftreten, Sterben und Auferstehen des Messias. Bedingt durch diese Versuche der Ordnung, Systematisierung und Adressierung Fragen einer neuen Zeit besteht Kontinuität zwischen dem Apostel und den Theologen der Kirche. Somit kommt die systematische Theologie  ultimativ aus der Schrift, nicht aus der Kirchengeschichte.

 

 

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